Wie wird man in der Politik zur Persönlichkeitsmarke? WelcheFallen lauern bei der Markenführung? Und: Kann ein Politikerseiner Partei durch einen Marken-Relaunch tatsächlich ein neuesImage verschaffen, wie Christian Lindner es aktuell mit der FDPanstrebt? Diese und anere spannende Fragen klärten Capital-Chefredakteur Horst von Buttlar und der FDP-BundesvorsitzendeChristian Lindner in einem sehr aufschlussreichen Gespräch.
FOTOGRAFIN // MICHAELA HANDREK-REHLE
INTERVIEW // CHRISTIAN LINDNER, BUNDESVORSITZENDER DER FDP
UND HORST VON BUTTLAR, CHEFREDAKTEUR CAPITAL
Christian Lindner &Horst von Buttlar
Herr Lindner, manche Politiker sind Marken. Das wissen wir, seit es einen Kanzlerwahl-verein unter Helmut Kohl gab oder Plakate wie „Willy wählen“ in den 1970er-Jahren.2013 gewann eine Kanzlerin eine Wahl mit einem Satz: „Sie kennen mich“, und es gibtMarken wie Gregor Gysi oder Wolfgang Bosbach. Wie wird man zur Marke in derPolitik?
CHRISTIAN LINDNER: Ich glaube, das kann man nicht steuern – das passiert. Mar-kencharakter bekommen Persönlichkeiten dadurch, dass sie eine gewisse Aufmerk-samkeit haben und ein scharf abgegrenztes Profil besitzen, das sie heraushebt ausden „Handelsmarken“, die im Bundestag präsent sind. In der Politik gab es immerMarken. „Willy wählen“ war eine Markenbotschaft. Die Aussage von Frau Mer-kel, „Sie kennen mich“, drückt die Lehrbuchdefinition einer Marke aus – nämlicheine bekannte, berechenbare Qualität. Starke Eigenmarken in der Politik stehenaber immer in einer Wechselbeziehung zur Parteimarke. Es handelt sich insofernum ein Mehrmarkenkonzept. Es gibt eine Dachmarke, zum Beispiel CDU, und un-ter der Dachmarke gibt es Einzelmarken wie Frau Merkel oder Herrn Schäuble.
Was hat sich seit Willy Brandt bei der Markenbildung in der Politik verändert?
CL: Die Personalisierung ist heute größer als damals. „Willy wählen“ war zwar einepersonalisierte Botschaft, aber dennoch gab es stabile Milieus. Heute ist nicht mehrklar, dass von der Kanzel für die CDU gepredigt wird und der Betriebsrat zur Wahlder Sozialdemokraten aufruft. Die Milieus sind durchlässiger geworden und damitsinkt die Identifikation mit einer Partei. Insofern wird das konkrete Momentum ei-ner Kampagne vor einer Wahl wichtiger und damit auch der Markencharakter ei-ner Spitzenkandidatin oder eines Spitzenkandidaten, die ja die Komplexität in sichreduzieren.
Nun sendet der Wähler ja heute widersprüchliche Signale aus. Zum Beispiel wurdeHerr Kretschmann wiedergewählt, obwohl er die Flüchtlingspolitik von Frau Merkelschützte, Frau Dreyer wurde wiedergewählt, obwohl sie in der SPD ist, Frau Klöcknerhat eine Wahl verloren, weil sie gegen die Flüchtlingspolitik war. Ist das Markenma-nagement für Politiker komplexer geworden?
CL: Das würde ich nicht sagen. Ich halte das für eine Frage der Authentizität. HerrKretschmann und Frau Dreyer sind zwei Persönlichkeiten, die für eine nicht bei al-len populäre Position gestanden haben, die aber gleichwohl für etwas gestanden ha-ben. Frau Klöckner war das genaue Gegenteil. Sie hat gesagt, sie stünde voll hinterdem Plan von Frau Merkel, das sei der Plan A, aber sicherheitshalber, falls der schei-tert, hätte sie noch einen Plan A2 mit im Gepäck. Der Wähler sagt dann: „Momentmal, also sie ist dafür und zugleich dagegen. Das muss taktisch motiviert sein. Derkann ich nicht vertrauen.“ Die Wähler votieren lieber für Personen, die eine kom-pakte, widerspruchsfreie Botschaft haben.
Diskutierten beim Innovationstag in München über Politikmarken:
Christian Lindner und Horst von Buttlar, Capital-Chefredakteur
Parteien haben genau wie Medienmarken auch nicht mehr die Bindekraft wie vor 30Jahren. Das wird alles sehr viel differenzierter gesehen, es gibt ja auch diesen Begriffder „granularen Gesellschaft“. Wie geht man als Politiker mit diesen immer fragmen-tierteren Interessen und bindungsloseren Menschen eigentlich dann um?
CL: Indem man sich bei der Ansprache von Wählern nicht mehr methodisch von so-ziodemografischen Merkmalen leiten lässt. Das ist das alte Modell der Catch-all-Party. Man sucht eine Gruppe und verspricht ihr etwas. Ich glaube zumindest füruns Freie Demokraten nicht daran und deshalb machen wir es ganz anders. Wir de-finieren ein kompaktes, in sich widerspruchsfreies, allerdings auch kantiges undprovokantes politisches Angebot und schauen, wer sich dahinter versammelt – qua-si die Methode Apple. Wir erfinden etwas, was wir selber großartig finden, und set-zen darauf, dass andere das teilen und uns unterstützen. Für eine Partei, die sich ab-heben und etwas Besonderes sein will, halte ich das für die bessere Methode.
Also die FDP wird das neue Apple. Das wird auf jeden Fall ein spannender Wahlkampf.Werden Sie als Spitzenkandidat in den kommenden Wahlkampf gehen?
CL: Ich bewerbe mich darum, Spitzenkandidat zu werden. Hätte ich diesen Willennicht, wäre ich in meinem Job falsch.
Sehen Sie selbst sich eigentlich als Marke?
CL: Als Spitzenkandidat oder Parteivorsitzender ist man natürlich Repräsentant derPartei und hat damit Markencharakter. Das geht alleine deshalb gar nicht anders,weil sich die Medien auf ein Gesicht konzentrieren.
Im politischen Tagesgeschäft, wenn Sie wirklich etwas inhaltlich durchsetzen wollen,würden Sie dann lieber mit einem Technokraten zusammenarbeiten, weil Sie sagen, mitdem kann ich das Steuersystem vereinfachen, oder mit einer Marke, die ein Projekt gutverkauft?
CL: Handwerkliches Geschick in der Umsetzung von Projekten spricht doch nichtdagegen, dass man auch gut für sie werben kann! Ich behaupte sogar, dass die bes-ten politischen Manager zugleich auch die Besten darin sind, ihre politischen Inhal-te zu verkaufen, weil sie die Details kennen.
Welche politische Marke fanden Sie in den letzten Jahren interessant?
CL: Die größte Politikmarke, die wir in den letzten Jahren hatten, war zweifelsohneKarl-Theodor zu Guttenberg.
Die
neuen Mitgliederund Wählerunserer Partei sindLeute, die von derZukunft etwaserhoffen und dieFDP als Treiberund Träger ihresOptimismussehen.
Plant für 2017 das Comeback der FDP im Bundestag: Christian Lindner.
Eine kurzlebige, sehr hitzige Marke …
CL: Das lehrt vielleicht das Beispiel Guttenberg: Die Markenführung muss langfris-tig angelegt sein, um einen Ikarus-Effekt zu vermeiden. Zu schnell auf einen Hypezu setzen, führt eben dazu, dass die Fallhöhe enorm groß ist. Denken Sie an die Tri-umphmärsche im alten Rom: Wenn der Feldherr nach einer gewonnenen Schlacht,begleitet vom Jubel des Volkes, in die Stadt kam, gab es immer einen, der ihm insOhr geflüstert hat: „Bedenke, dass du sterblich bist, selbst im Moment des Trium-phes.“ Genau das lehrt das Beispiel Guttenberg: Bei diesen extrem hochgejazztenMarken ist es eine Projektion, nämlich das Medienbild, die die Aufmerksamkeit si-chert. Es zählt am Ende aber nicht die Person, sondern die politische Mission, alsodas, was man in der Sache umsetzen muss. Wenn man sich von der Sache und derwirklichen Substanz entfernt und sich vom positiven Medienimage wegtragen lässt,dann ist darin schon das Scheitern angelegt.
Die FDP ist aktuell eines der spannendsten Marken-Relaunch-Projekte. Wo standdieMarke FDP, als Sie sich 2013 entschieden haben, für den Parteivorsitz zu kandidieren?
CL: Große Tradition, klassische Stärke, aktuell aber aus dem relevanten Spektrumraus – das wäre noch diplomatisch formuliert. Der Effekt war: Klassische Markefällt wegen enttäuschter Produktversprechen und erntet damit Häme und Spott. Indieser Ausgangslage liegt allerdings automatisch auch ein Stück Hoffnung. Dennwenn es noch einen alten Markenwert gibt, der durchscheint, kann man mit demnatürlich arbeiten. Dann existiert eine Identität, an die man anknüpfen kann. Allewussten ungefähr, wofür die Marke einmal gestanden hat. Deshalb gab es vieleStimmen, die gesagt haben: „Irgendwie überzeugt mich die aktuelle Interpretationnicht so sehr, dass ich bereit bin, mich in irgendeiner Weise dafür zu engagieren.“
Wie sind Sie bei dem Relaunch vorgegangen? Das ist ja fast wie so eine Art Case-Study.Sie sehen da einen alten Markenkern, den legt man frei. Was haben Sie gedacht, wie Siedie nächsten drei, vier Jahre weitermachen?
CL: Als ich als Parteivorsitzender kandidiert habe, habe ich zunächst einmal gesagt,was wir nicht machen werden –nämlich keinen Zentimeter in Richtung der Euro-Hasser zu gehen. Das war reine Intuition. Ich fühle mich heute bestätigt, weil mannicht gegen Europa und gegen Weltoffenheit und gleichzeitig liberal sein kann. Au-ßerdem wollten wir keine gelbe Sozialdemokratie werden. Der Markt war schonbesetzt, denn es gibt schwarze, grüne und rote Sozialdemokraten.
Und was wollten Sie machen?
CL: Es wurde gefragt: Wie kommen wir, wie kommt ihr wieder in den Bundestag?Mit der Frage habe ich mich eine Weile beschäftigt und im Winter 2013, nach derWahl zum Parteivorsitzenden, fiel mir auf, dass das die völlig falsche Frage ist. Dieeigentliche Frage war: Warum wollen wir eigentlich in den Bundestag? Warum gibtes uns überhaupt? Die Antwort war einfach: Weil es eine Partei geben muss, diedem einzelnen Menschen vertraut, die ihn groß machen will durch beste Bildung,ihn aber auch schützen will vor Bevormundung, Bürokratisierung, Abkassieren undBespitzelung. Ein solches individualistisches, optimistisches, menschenfreundlichesAngebot gibt es kein zweites Mal. Aus diesem Grund bin ich damals selbst Mitgliedder FDP geworden.
Statt GermanAngst, für die unserLand weltweitbekannt ist, solltewieder Mut, derGerman Mut zueinem Bestandteilunserer Identitätwerden.
Scharfer Beobachter: Horst von Buttlar.
Wie weit, würden Sie sagen, sind Sie auf diesem Weg zum alten neuen Markenkern derFDP?
CL: Der erste Schritt war, sich über die Identität der FDP klar zu werden. Der zweiteSchritt war dann, sich von den klassischen Ansprachen zu verabschieden. Der Un-ternehmer ist nicht automatisch ein FDP-Wähler, denn dem Unternehmer, der nichtden Markt, den Wettbewerb, die Innovation liebt, sondern nur die vom Staat garan-tierte Subvention für seine Fotovoltaikanlage, dem kann ich nichts anbieten. Aufder anderen Seite steht eine Grundschullehrerin. Sie ist Beamtin im öffentlichenDienst, aber sie macht mit viel Kreativität zusammen mit dem Elternverein und mitSponsoren ein Projekt, damit endlich digitale Bildung in ihre Grundschule kommt.Sie hat ganz offensichtlich Unternehmergeist. Danach haben wir programmatischeProjekte zusammengefasst, zum Beispiel welche Gesetze wir ändern würden, fallswir wieder in die Regierungsverantwortung kommen. Schließlich kam der dritteSchritt, die Erneuerung und Veränderung dem Wählen gegenüber nach außen sicht-bar zu machen.
Für eine Partei in der außerparlamentarischen Opposition ist das nicht einfach. DieJournalisten standen vermutlich nicht Schlange, um Ihr neues Programm kennenzuler-nen. Wie wollten Sie denn in der Öffentlichkeit sichtbar werden?
CL: Das haben wir mit einem Kick-off am 6. Januar 2015 bei unserem Dreikönigs-treffen gemacht. Zu dem hatten sich bis Mitte Dezember gerade einmal sieben Jour-nalisten angemeldet. Das ist natürlich ein Problem, wenn man eine große Botschafthat, aber keinen, der sie übermittelt. Um Aufmerksamkeit zu generieren, habe ichunsere Agentur gebeten, in einem Branchendienst zu leaken, dass die FDP ihre Mar-kenfarbe in Magenta ändert. Unmittelbar nach dieser Meldung ist die Zahl der ak-kreditierten Journalisten auf 78 gestiegen und es gab zwei Fernsehübertragungen,weil natürlich alle sehen wollten, wie sich die FDP vermeintlich lächerlich macht.Plötzlich war auch die „heute-show“ wieder da.
Und wie sind Sie dann aufgetreten?
CL: Natürlich habe ich während meiner Rede kein einziges Mal über Branding,Marke oder Change-Management gesprochen, sondern nur darüber, was wir tunwollen. Dass wir ein Land sein wollen, in dem es mehr Garagen zum Gründen gibtals Bedenken – also eine Mentalitätsreform: Statt German Angst, für die unser Landweltweit bekannt ist, sollte wieder Mut, der German Mut zu einem Bestandteil un-serer Identität werden. Seitdem haben wir bei jeder Wahl, auch zentral aus der Bun-desgeschäftsstelle gesteuert, unsere Kampagne fortgesetzt.
Ist Ihre Strategie aufgegangen?
CL: Seit 2015 haben wir bei jeder Wahl dazugewonnen. Wir gewinnen viele Mitglie-der und haben trotz Austritten eine positive Mitgliederentwicklung, weil immernoch mehr neue eintreten. Das ist faszinierend, denn der Umbau von Wählerschaftund Mitgliedschaft zeigt an, dass es wirklich eine andere Identität ist, die andereMenschen anspricht. Das sind nicht Leute, die mit Befürchtungen in die Zukunftblicken, das sind Leute, die von der Zukunft etwas erhoffen und die FDP als Treiberund Träger ihres Optimismus sehen. Das ist doch eine frohe Botschaft.
Anscheinend haben Sie die Partei bei diesem Veränderungsprozess geschlossen hintersich.
CL: Vielleicht ist genau das die große Kunst gewesen – nämlich über unseren Chan-ge-Management-Prozess und über unseren Leitbildprozess die Leute auch innerhalbder Partei wieder für eine gemeinsame Mission zu begeistern. Das neue Leitbild ha-ben wir nicht allein in einem kleinen Kreis entwickelt, sondern wir haben in über500 Veranstaltungen mit vielen tausend Beteiligten alles durchdekliniert und man-che Punkte auch noch einmal verändert. Am Ende dieses Prozesses waren auch kri-tische Geister davon überzeugt, sodass sie das jetzt mittragen. Durch die Mitwir-kung hatten alle die Überzeugung, dass sie jetzt hinter dem richtigen Projekt stehen.