Seit 2015 kommen hunderttausende Flüchtlinge zu uns, diekein Wort Deutsch sprechen. Auf einen Sprachkurs müssen dieNeuankömmlinge oft lange warten. Unsere Sprache können siedank WhatsGerman trotzdem lernen. Über WhatsApp. Komplettkostenlos. Wie WhatsGerman funktioniert und was die Idee soerfolgreich macht, erklären die Gründerinnen Friederike Fröhlich,Kathrin Vogl und Andrea Prade im Interview.
FOTOGRAF // FABIAN FRINZEL
MODEL // MARIE BRUNS
INTERVIEW // KATHRIN VOGL, ANDREA PRADE, FRIEDERIKE FRÖHLICH
Wo Sprachbarrieren abgebaut werden, entstehen neue kom-munikative Gemeinschaften. Mit einem Ziel: Verständigung. Dererste Schritt zur Integration von Flüchtlingen in Deutschland ist esalso, einen gemeinsamen Sprachhorizont zu schaffen. Die Plan.-Net Gruppe hat für Englisch und Arabisch sprechende Flüchtlingeeinen kostenlosen Deutschkurs über WhatsApp ent-wickelt. Am14. Dezember 2015 startete das Programm erfolgreich.
Wie entstand die Idee zu WhatsGerman?
Andrea Prade: Viele Deutsche entrüsteten sich darüber, dass Flüchtlinge Smartpho-nes besitzen. Die Medien berichteten intensiv darüber. Das ließ uns aufhorchen.Das Smartphone ist der wichtigste Begleiter der Flüchtlinge. Damit koordinieren sieihre Flucht und halten Kontakt zu Familien und Freunden. Nach einer strapaziö-sen, oft lebensgefährlichen Flucht in Deutschland angekommen, stehen sie vor dernächsten Herausforderung: Wie sollen sie hier ein neues Leben beginnen, wenn siedie Sprache nicht beherrschen? Einen offiziellen Sprachkurs können sie erst nachdrei Monaten besuchen. Und bis dahin? An genau dieser Schwachstelle wollten wiransetzen. Damit war der Grundstein für die Idee von WhatsGerman gelegt.
Wie genau funktioniert WhatsGerman? Wie kann ich mich überhaupt als Nutzerregistrieren?
Kathrin Vogl: WhatsGerman ist keine separate App, die vor dem Gebrauch erst in-stalliert werden muss. Die meisten Smartphone-Besitzer nutzen die PlattformWhatsApp ohnehin schon – da ist die Hemmschwelle, einen Deutschkurs überWhatsApp zu machen, ziemlich niedrig. Als Smartphone-Nutzer kann man sichganz einfach auf www.whatsgerman.de registrieren und aus drei Deutschkursen(Alphabet, Phrasen, Grammatik) mit steigendem Schwierigkeitsgrad wählen. Ein-mal täglich erhält der Nutzer dann eine Lernportion, bestehend aus Text und ver-anschaulichenden Emojis und Videos.
WhatsGerman ist für eine Werbeagentur ein eher ungewöhnliches Angebot und eigent-lich nicht das genuine Metier. Warum haben Sie sich mit diesem Themaauseinandergesetzt?
Friederike Fröhlich: Mehr als eine Mil- lion Flüchtlinge kamen allein 2015 inDeutschland an. Ein gesellschaftlich relevantes und medial sehr präsentes Thema,bei dem wir natürlich helfen wollten – und zwar genau dort, wo wir es am bestenkönnen: Als Digital- und Kommunikationsagentur sahen wir den größten Impactfür unsere Hilfe in einer digitalen Idee auf Ebene der Kommunikation. Denn Spra-che verbindet Menschen und ist damit der erste Schritt für eine erfolgreiche Inte-gration von Flüchtlingen.
Wer war an der inhaltlichen Konzipierung des Angebots beteiligt? Haben Sie sich Mei-nungen von Wissenschaftlern, DaF-/DaZ-Lehrern oder Flüchtlingen dazu geholt? (DaF= Deutsch als Fremdsprache; DaZ = Deutsch als Zweitsprache)
KV: Die Sprachkurse wurden für das Projekt WhatsGerman eigens entwickelt undexplizit auf das Medium WhatsApp ausgerichtet. Dabei standen wir in enger Zu-sammenarbeit mit einem Deutschlehrer und einem arabischen Muttersprachler.
Auf welche Zielgruppe ist WhatsGerman ausgerichtet? Ist das Angebot ausschließlichfür Anfänger (A0-/A1-Niveau) gedacht?
KV: Grundsätzlich ist Whats-German vor allem für Anfänger gedacht, die etwa auchdas lateinische Alphabet noch gar nicht kennen. In unserem dritten Kurs „BasicGrammar“ gehen wir allerdings ein Stück weiter und versuchen, auch komplexeregrammatikalische Zusammenhänge wie die vier Fälle oder Verbformen zu erklären.
Wie viele Teilnehmer nutzen WhatsGerman inzwischen?
AP: Nach nur sieben Monaten Laufzeit haben wir es geschafft, aktuell mehr als190.000 Nutzer an WhatsGerman zu binden, 80.000 Registrierungen davon alleinin den ersten sechs Wochen. Das entspricht 17 % der arabisch sprechendenFlüchtlinge.
Wie lange dauert ein Sprachkurs, sprich: Wie viele Tageslektionen bekomme ich?
FF: Die Kurse sind jeweils auf einen Monat ausgelegt. Registriert man sich nachein-ander für alle drei Kurse, kann man so die durchschnittlichen drei Monate Warte-zeit für einen Platz in einem Sprachkurs sinnvoll für sich nutzen.
Sind neben den bisherigen drei Kursen noch weitere geplant? Falls ja, können Sie jetztschon verraten, welche?
AP: Unsere Kurse sind bereits in der zwei- ten Runde und wurden mit neuen Inhal-ten fortgesetzt. Für die Zukunft sind weitere Kurse zu spezielleren Themen geplant.
Wo sehen Sie die Grenzen Ihres Angebots?
KV: WhatsGerman kann keinen her- kömmlichen Deutschkurs ersetzen. Dafür ist esaber auch nicht gedacht. Es soll den Flüchtlingen den Einstieg in ihr neues Leben er-leichtern und ihnen die kostenlose Möglichkeit geben, im Voraus oder ergänzend zueinem Kurs etwas Deutsch für den Alltag zu lernen.
Denken Sie, dass Apps wie WhatsApp in Zukunft eine verstärkte Rolle bei der Vermitt-lung von Sprachkenntnissen spielen werden? Den klassischen Sprachkurs vielleicht so-gar eines Tages ersetzen könnten? bei der Vermittlung von Sprachkenntnissen spielenwerden? Den klassischen Sprachkurs vielleicht sogar eines Tages ersetzen könnten?dieGrenzen Ihres Angebots?
FF: Wir denken, dass Apps wie Babbel durchaus dazu geeignet sind, fort-geschritte-ne Sprachkenntnisse zu vermitteln. Aber einen klassischen Sprachkurs damit zu er-setzen, wird wohl nicht möglich sein. Das wäre auch schade, schließlich lernt essich Face to Face viel leichter.
Haben Sie Feedback von Nutzern bekommen? Falls ja, wie fiel es aus?
AP: Das Feedback von den Nutzern istdurchweg positiv. Wir bekommen täglich vie-le Dankesnachrichten per WhatsApp zugesendet. Das zeigt uns, dass die Idee funk-tioniert – und ist auch das tollste Dankeschön für unsere Arbeit.
Gab es neben dem direkten Feedback von WhatsGerman-Nutzern noch andereReaktionen?
KV: Neben dem positiven Feedback derWhatsGerman-Nutzer konnten wir bei demCannes Lions International Festival of Creativity 2016, dem größten Werbefestivaldes Jahres, einmal Gold und einmal Silber gewinnen. Das zeigt uns, dass unser Pro-jekt auch international Anerkennung findet und Potenzial zur Weiterentwicklung,also zur Ausweitung auf andere Sprachen und Bereiche hat.
WHATSGERMAN
DAS GRÜNDERINNEN-TEAM
Woher kennen Sie sich?
Wir – Andrea, Friederike und Kathrin – arbeiten seit rund zwei Jahren bei Plan.NetCampaign in München als Team zusammen. Was unser Team ausmacht: Für unswerden Innovationsideen dann zu erfolgreicher digitaler Kommunikation, wenn siewirklich etwas bewegen. So wie WhatsGerman.
Was war Ihr tollster Moment bei dem Projekt?
KV: Für mich gibt es nicht nur den EINEN tollen Moment. Jede einzelne Dankes-nachricht, die wir erhalten, ist eine ganz besondere Bestätigung für das Gelingenunseres Projekts.
Woher haben Sie die Kompetenz, einen digitalen Sprachkurs zu entwickeln?
AP: Da war sehr viel Recherche nötig, um am Ende genau zu wissen, welche Inhaltesinnvoll sind. Bei der Feinkonzeption waren wir froh über die Unterstützung einesDeutschlehrers und Muttersprachlers.
Beschreiben Sie sich in Sachen Kommunikation und Sprache in einem Satz.
AP: Unser Insight war und ist grundlegend: Gegenseitiges Verständnis beginnt mitVerständigung!